Alles über die Insolvenz von Selbständigen und Tipps für die Praxis – Interview

Wer sich gerade selbständig gemacht hat, denkt wohl kaum an den Fall einer Insolvenz.

Dennoch erwischt es viele Selbständige und Unternehmen, denn eine Selbständigkeit bietet nicht nur Chancen, sondern birgt auch Risiken.

Doch wann ist man überhaupt insolvent? Was kann man dann tun? Wie kommt man schnell wieder raus aus den Schulden?

Diese und andere Fragen habe ich Rechtsanwalt Andre Kraus gestellt, der sich auf dieses Thema spezialisiert hat.

Guten Tag Herr Kraus. Bitte stellen Sie sich meinen Lesern vor.

Hallo Herr Wandiger! Mein Name ist Andre Kraus, ich bin Rechtsanwalt und habe mich mit einer auf Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei selbstständig gemacht.

Ich berate Privatpersonen, selbstständige Unternehmer und Firmen in schwierigen finanziellen Situationen. Dabei betreuen mein Team und ich Mandanten im ganzen Bundesgebiet – nach etwas mehr als zwei Jahren Tätigkeit haben wir mehrere Hundert Verfahren eingeleitet.

Mein Studium der Rechtswissenschaften habe ich an den Universitäten Saarbrücken und Köln mit Studienaufenthalten in Noordwijk (Niederlande) und Portsmouth (Großbritannien) absolviert. Durch die Betreuung insolvenzrechtlicher Mandate auf Schuldner- und Gläubigerseite konnte ich mir ein umfassendes Fach- und auch Praxiswissen erarbeiten. In diesem Rahmen entwickelte sich dann auch der Gedanke an eine Selbstständigkeit in eben diesem Themengebiet.

Meine Kanzlei berät heute zu außergerichtlichen Vergleichen, Privatinsolvenz und Regelinsolvenz, aber darüber hinaus auch zu einer eventuell möglichen englischen Insolvenz bzw. zu englischen Vergleichen.

In welchen Fällen brauchen Selbständige Ihre Hilfe?

Selbstständigkeit ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Da die Verantwortung für die wirtschaftliche Tätigkeit gänzlich in den eigenen Händen liegt, sind die Auswirkungen einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit umso gravierender.

Hier kommt unsere Dienstleistung zum Tragen: Wir helfen, die negativen Folgen einer finanziellen Krise für das berufliche sowie für das private Leben abzuwenden.

Wir können Selbstständigen all die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten transparent machen, die in einem solchen Fall ohne professionelle Hilfe nur schwer zu durchschauen sind.

  • Eigene Zahlungsschwierigkeiten
    Wir suchen gemeinsam den bestmöglichen Lösungsweg: Möchten unsere Mandanten eine Insolvenz vermeiden, treten wir in Verhandlung mit den Gläubigern, um z.B. einen Vergleich zu erwirken. Sollte ein Insolvenzverfahren in Betracht gezogen werden, beraten wir zu den Vor- und Nachteilen einer Privatinsolvenz oder Regelinsolvenz und führen das Verfahren im Namen des Selbstständigen durch.

    Unsere Mandanten haben meist ihr Herzblut in ihre Unternehmung gesteckt – eine Kapitulation kommt für viele nicht in Frage. Dessen sind wir uns bewusst und versuchen daher alles, um unsere Mandanten zu entlasten, ihnen einen Neustart zu ermöglichen oder auch Wege aufzuzeigen, um die eigene Unternehmung zu erhalten.

  • Zahlungsschwierigkeiten von Kunden
    Über die eigene Liquidität hinaus sind Selbstständige auch von finanziellen Schwierigkeiten Anderer betroffen. So erleiden sie z.B. durch eine Zahlungsunfähigkeit ihrer Kunden direkte Verluste und müssen Maßnahmen ergreifen, um solche unerwarteten Ausfälle auszugleichen. Auch in solchen Fällen lohnt es sich professionelle Hilfe in Betracht zu ziehen.
  • Vorsorge
    Daneben haben viele Unternehmer auch Fragen, wenn gar keine Krise vorliegt und sie sich oder ihr Vermögen für den Fall der Fälle schützen möchten.
    Hierbei können wir durch unser Fachwissen beratend und unterstützend tätig werden und so die für unsere Mandanten bestmöglichen Ergebnisse bewirken.

Was sind nach Ihrer Erfahrung die häufigsten Gründe für die Insolvenz von Selbständigen?

  • Außere Umstände
    Die Gründe für die Insolvenz von Selbständigen sind äußerst vielfältig. Oft werden Krisen durch äußere Umstände hervorgerufen, die im Vorhinein nicht abzuschätzen sind. So geraten viele unserer Mandanten in die Insolvenz, weil ihre Kunden zahlungsunfähig wurden.

    Ein solcher unerwarteter Ausfall von Einnahmen kann zu großen Schwierigkeiten – und im Extremfall zu einer unumgänglichen Insolvenz – führen.

  • Familiäre Umstände
    Daneben bergen auch familiäre Umstände Stolperfallen, die finanzielle Engpässe bewirken können. Besonders Scheidung ist ein heikles Thema – Hier sind Fachkenntnisse gefragt, um eine Firma trotz finanzieller und/oder emotionaler Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten.

    Auch eine Erkrankung oder die Erkrankung eines Familienangehörigen kann durch die damit einhergehenden plötzlichen Belastungen Auslöser einer finanziellen Krise und damit der erste Schritt in die Insolvenz sein.

  • Fehler in der Unternehmensführung
    Nicht zuletzt können Fehler in der Unternehmensführung dazu führen, dass das finanzielle Überleben nicht mehr gesichert ist. Insbesondere für Selbstständige ist es daher ratsam, in „guten“ Zeiten Vorsorge für mögliche Krisen zu treffen, sodass diese ohne gravierende Verluste abgewehrt werden können. .

Wie hat sich die Insolvenzsituation in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

Unternehmensinsolvenzen sowie Privatinsolvenzen haben seit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2001 sehr stark zugenommen und halten sich seit einigen Jahren auf einem sehr hohen Stand.

Im Krisenjahr 2009 erreichte die Zahl der Insolvenzen einen Höchststand und ist seitdem etwas zurückgegangen.

Im Jahr 2013 wurden rund 27.000 Unternehmensinsolvenzen und rund 100.000 Privatinsolvenzverfahren erfasst.

Welche Selbständige (Branche, Länge der Selbständigkeit etc.) sind am häufigsten betroffen?

Während durch die Presse meist nur die spektakulären Fälle, wie die Insolvenzen von Praktiker, Max Bahr oder Loewe bekannt werden, sind es insbesondere Kleingewerbetreibende, die Insolvenz anmelden müssen.

Die meisten Regelinsolvenzen finden sich in den Branchen der Dienstleistungs-, Handels- und Baugewerbe. Besonders gefährdet zeigen sich Post- und Kurierdienste, Detekteien, Videotheken, Call Centers, Schankwirtschaften und Transportgewerbe.

Das Risiko einer Insolvenz sinkt tendenziell mit dem Alter des Unternehmens. Der Großteil der Insolvenzfälle findet sich bei jüngeren Unternehmen. Lediglich ein Drittel aller von Insolvenz betroffenen Unternehmen ist älter als zehn Jahre.

Der Schritt in das Abenteuer Selbstständigkeit ist verlockend, doch sollte die Aufbauphase mitsamt ihren Stolpersteinen nicht unterschätzt werden. Eine realistische Kostenkalkulation, die stets auf dem aktuellen Stand gehalten wird, ist unerlässlich.

Muss man im Falle einer Insolvenz einen Rechtsanwalt hinzuziehen? Welche Vorteile bringt das bzw. welche Gefahren gibt es, wenn man es nicht tut?

Man sollte hierbei zwischen dem Versuch der Vermeidung und der eigentlichen Einleitung der Insolvenz differenzieren.

Grundsätzlich steht es jedem Selbstständigen frei eine Insolvenz oder einen Vergleich ohne anwaltliche Unterstützung durchzuführen. Dennoch empfehle ich dringend einen solchen Schritt fachmännisch begleiten zu lassen.

Die Vorteile sind:

  • Gesamte Bandbreite der Möglichkeiten ausschöpfen
    Zum einen kennen die Selbstständigen nicht die gesamte Bandbreite der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und können diese daher nicht ideal ausschöpfen. Durch einen auf Insolvenzrecht spezialisierter Rechtsanwalt kann die finanzielle Sanierung der Mandanten mithilfe von detailliertem Fachwissen und Erfahrungswerten gesichert werden. Daneben verhandeln die Gläubiger mit einem Insolvenzanwalt auf eine andere Weise als mit dem Schuldner, da sie die Gefahr einer Insolvenz weitaus höher einschätzen. Die Gläubiger sind sich bewusst, dass bei einer Ablehnung unseres Vergleichsangebots die Insolvenz des Mandanten unmittelbar bevorsteht. Die Wahrscheinlichkeit durch einen Vergleich eine Insolvenz zu vermeiden ist deshalb mithilfe eines Anwalts um ein Vielfaches höher.
  • Günstigere Vergleiche abschließen
    Daneben ist auch sichergestellt, dass keine Nachforderungen der Gläubiger nach Abschluss des Vergleiches kommen, da rechtlich sichere Vergleichsverträge abgeschlossen werden. Mit anwaltlicher Vertretung gehen die Gläubiger um ein Vielfaches günstigere Vergleiche für den Mandanten ein. Auch wenn das Anwaltshonorar zunächst als weitere finanzielle Belastung erscheinen kann, wird daher in der Folge weitaus mehr gespart.
  • Das Risiko der Versagung der Restschuldbefreiung beseitigen
    Auch bei einer Einleitung der Insolvenz sollte ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Das Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die finanzielle Sanierung des Schuldners – die sogenannte “Restschuldbefreiung”. Diese kann jedoch nach Ablauf des Verfahrens aufgrund von Fehlern im Insolvenzantrag versagt werden. Der Insolvenzschuldner steht dann nach einem lange andauernden Verfahren genau an dem gleichen Punkt, wie vor Beginn der Insolvenz. Mithilfe einer rechtlichen Vertretung im Insolvenzverfahren kann das Risiko der Versagung der Restschuldbefreiung beseitigt werden.

    Sehr leicht kann man ohne eine Beratung im Vorfeld eines Verfahrens in eine der zahllosen Stolperfallen geraten und steht dann trotz eines durchlaufenen Insolvenzverfahrens ohne Restschuldbefreiung dar – dies ist natürlich ein Super GAU.

    So sollten z. B. unbedingt alle Zahlungen an die Gläubiger eingestellt werden – viele versuchen im Vorfeld noch einige Gläubiger zu befriedigen und erleben dann im Schlusstermin ihr blaues Wunder!

    Ebenso viele Tücken stecken in der Anfertigung des Insolvenzantrages selbst. Schon aus diesem Grund sollte zur Vermeidung eines Versagungsantrages auf die Begleitung eines Fachmanns zurückgegriffen werden.

  • Psychische Belastung reduzieren
    Auch aufgrund der psychischen Belastung ist es erleichternd einen Anwalt mit der Abwicklung aller Vorgaben zu beauftragen. Vor Beginn der Insolvenz werden insbesondere Selbstständige mit einem Berg von Problemstellungen konfrontiert.

    Es ist daher sowohl in persönlicher als auch in unternehmerischer Sicht sinnvoll, den Teil der Herausforderung, der nicht in ihrer Kompetenz liegt, auszulagern. So können sich die Betroffenen auf das Kerngeschäft konzentrieren, während der Fachmann das Insolvenzverfahren vorbereitet – Man schläft ruhiger.

Sollte der Selbständige seine Selbständigkeit aufgeben wollen, so kommt für ihn unter folgenden Voraussetzungen auch ein Privatinsolvenzverfahren in Betracht, das sonst nur natürlichen Personen vorbehalten ist:

  • die selbstständige Tätigkeit muss vor der Stellung des Insolvenzantrags beendet sein,
  • die Zahl der Gläubiger beschränkt sich auf maximal 19 und
  • die Schulden stammen nicht aus einem arbeitsrechtlichen Schuldverhältnis.

Ein Privatinsolvenzverfahren ist in der Durchführung etwas einfacher und daher im Zweifel vorzuziehen. Hierbei ist aber die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes oder einer dafür zuständigen Stelle gesetzlich vorgeschrieben.

Wann soll man als Selbständiger die Insolvenz beantragen?

Wenn sich bei einer realistischen Einschätzung der aktuellen Situation ergibt, dass das Unternehmen zahlungsfähig ist oder sein wird und sich diese Lage auch in absehbarer Zeit nicht ändert, sollte ein Selbstständiger die Insolvenz in Betracht ziehen.

Zahlungsunfähigkeit bedeutet konkret, dass ein Unternehmen innerhalb eines Zeitraumes von 3 Wochen Liquiditätslücken von 10% oder mehr aufweist – Es sei denn, es ist sicher zu erwarten, dass die Liquiditätslücke in absehbarer Zeit geschlossen werden kann.

Insbesondere bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit können unangenehme Folgen durch ein Insolvenzverfahren im Vorhinein verhindert werden. Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens tritt die Entschuldung mit der Restschuldbefreiung nach 3, 5 oder spätestens 6 Jahren ein – und der Betroffene kann einen persönlichen und unternehmerischen Neuanfang wagen. Ansonsten kann die bestehende Situation den Schuldner lebenslang begleiten.

Für bestimmte Rechtsformen, wie z.B. die GmbH, besteht sogar eine Verpflichtung, bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Diese muss unbedingt beachtet werden!

Kann man die Regelinsolvenz beantragen und trotzdem als Selbständiger arbeiten?

Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Fortführung der selbstständigen Tätigkeit möglich. Hierbei spielen aber die Umstände der Tätigkeit und des Betriebs eine tragende Rolle.

Aufgrund der verschiedenen und komplexen Ausgangssituationen ist eine ausführliche Beratung unbedingt notwendig, da neben dem “ob” der Selbständigkeit auch das “wie” eingehend erörtert werden muss.

Die Selbstständigkeit in der Insolvenz birgt für unsere Mandanten nicht nur Risiken – Sie kann auch große Vorteile bringen!

Wie lange dauert der ganze Prozess und wie kann es danach weiter gehen?

Das gesamte Insolvenzverfahren von der Eröffnung des Verfahrens bis zur Restschuldbefreiung kann maximal 6 Jahre dauern. Danach sind sowohl die persönlichen als auch die unternehmerischen Schulden saniert.

Durch die Insolvenzrechtsreform, die ab dem 01.07.2014 in Kraft treten wird, können Schuldner schon früher die Restschuldbefreiung erlegen. Es besteht die Möglichkeit, das Verfahren auf 3 Jahre zu verkürzen, wenn der Schuldner mindestens 35% der Schulden und die Verfahrenskosten innerhalb der 3 Jahre zahlen kann.

Eine weitere Möglichkeit bietet sich durch die Verkürzung auf 5 Jahre, die erlangt werden kann, wenn der Schuldner innerhalb der 5 Jahre die gesamten Verfahrenskosten abgetragen hat.

Welche Kosten fallen dabei an?

Als neu entstehende Kosten fällt zum einen die Vergütung des Rechtsanwaltes bei der Vorbereitung der Insolvenz an. Diese Kosten fallen je nach Rechtsanwalt unterschiedlich aus.

Um unsere Mandanten vor bösen Überraschungen zu schützen, hat unsere Kanzlei transparente Festbeträge. Wir möchten so erreichen, dass unsere Mandanten von Anfang an wissen, was auf sie zukommt.

Zusätzlich zu den Kosten für den Rechtsanwalt fallen Verfahrenskosten an, die sich aus den Kosten für das Gericht und den Insolvenzverwalter zusammensetzen. Die Höhe dieser Kosten berechnet sich nach der Schuldenhöhe und dem daraus resultierenden Aufwand.

Diese Summe wird aber vorrangig aus der Insolvenzmasse, also der Verwertung des Vermögens, gezogen, sodass sie nicht als zusätzliche Belastung anfallen. Als Selbstständiger muss man demnach oft keine direkten Beträge für die Verfahrenskosten beisteuern.

Zu guter Letzt würde ich über Ihre wichtigsten Tipps freuen, wie man eine Insolvenz möglichst verhindern kann.

Ausgehend von unseren Erfahrungswerten können wir allen Selbstständigen empfehlen, in guten Zeiten einen Puffer für unerwartete Krisensituationen anzulegen.

Zudem ist es sinnvoll, sich neben finanziellen Aspekten auch rechtlich auf eine kritische Situation vorzubereiten. Eine solche Vorbereitung beinhaltet z.B. die Regelung der Rechtsform und der familiären Vermögensverhältnisse.

Über allem steht sicherlich eine gut überlegte Unternehmungsführung – zu diesem Gebiet kann ich jedoch keine fachlichen Empfehlungen bieten.

Danke Herr Kraus

für das aufschlussreiche Interview.

Peer Wandiger

1 Gedanke zu „Alles über die Insolvenz von Selbständigen und Tipps für die Praxis – Interview“

  1. Gutes Interview! Diese Tipps sind sicherlich relevant sobald
    man mehr über Betriebsinsolvenzen und Insolvenzrecht
    wissen möchte. Es ist immer interessant unterschiedliche
    Ansichten zu lesen.

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