Selbständig im Netz als junge Mutter – Gründung, Probleme, Kinder, Tipps – Interview

Als ich mich 2006 selbständig gemacht habe war meine große Tochter gerade mal 3 Jahre alt und die kleine kam ein Jahr später.

Ich kenne durchaus die Herausforderungen eines Selbständigen mit Kindern, auch wenn es insgesamt ganz gut geklappt hat.

Im heutigen Interview spreche ich mit einer jungen Mutter, die sich als Lektorin selbständig gemacht hat. Es geht um die Gründung, Probleme, Stress und Kundengewinnung.

Hallo Anna. Bitte stell dich meinen Lesern vor.

Hallo Peer, ich bin Anfang 30 und in der Rush-Hour des Lebens: Familiengründung und Lebensplanung – alles läuft parallel. Vor drei Monaten habe ich mich spontan als Texterin und Lektorin freiberuflich selbstständig gemacht.

Meinen Abschluss habe ich Germanistik und Kunstgeschichte von der Humboldt-Universität in Berlin. Generell bin ich viel umgezogen, habe durch Praktika Erfahrungen gesammelt oder im Ausland gearbeitet.

Zuletzt war ich im Bereich Wissenschaftskommunikation angestellt und habe Pressemitteilungen, Flyertexte oder Berichte geschrieben, Veranstaltungen organisiert etc..

Ich bin bilingual und spreche weitere Fremdsprachen. Privat mag ich Handwerkliches und Design; für Sport bleibt im Moment keine Zeit, früher habe ich Handball gespielt.

Was war das letzte sprachliche “Verbrechen”, dass du lektorieren musstest?

„Wollige Wärme“ in einem Immobilienexposé. Sonst immer wieder die Klassiker: seit / seid; dass / das, Ihnen / ihnen – Sie /sie und Kommata generell. „Herzlich Willkommen“ ist der wohl häufigste Fehler im Internet. Das passiert jedem. Irgendwann nimmt der Duden das noch auf.

Ein Verbrechen sind außerdem Sätze, die in ihrer Syntax so fehlerhaft verdreht sind, dass der Sinn nicht mehr zu erkennen ist. Lieber einen Punkt mehr setzen und mit Hauptsätzen arbeiten, als Nebensatzverschachtelungen über Zeilen hinweg zu bauen, die keiner mehr versteht.

Wie lange beschäftigst du dich schon mit Texten und was fasziniert dich daran?

Text war immer dabei, ich las Bücher und wuchs mit Internet 1.0 auf. Text bedeutet für mich grundlegende Kommunikation, die vielseitig einsetzbar ist. Er ist elementar und wichtig.

Richtig faszinierend finde ich andere Ausdrucksformen wie Kunst oder Fotografie.

Gibt es Unterschiede von Online- und Offlinetexten?

Onlinetexte sind kurzlebiger, entstehen schneller und werden eher ersetzt. Content wurde zu SEO-bedingter Massenware; Google belohnt Seiten, deren Inhalt sich stetig aktualisiert. Es kommt natürlich immer auf die Textgattung an: Fachartikel sind länger und besser recherchiert als Blogartikel; wissenschaftliche Texte sind per se genauer geschrieben als Reise- oder Produktberichte.

Ist in einem Onlinetext ein Fehler, kann er schnell verbessert werden. Im schlimmsten Fall werden Text oder Social Media-Kommentar einfach gelöscht. Offlinetexte müssen von Beginn an gründlich recherchiert und lektoriert werden, sonst hat man inhaltliche oder textbasierte Fehler im Druck. Entweder ist dies dann peinlich oder teuer. Vertippt man sich bei beispielsweise bei der Erstellung der Werbesendung oder von Visitenkarten, muss neu gedruckt werden.

Im Internet überlesen wir Flüchtigkeitsfehler und nehmen sie nicht so ernst. Ist jedoch ein Bewerbungsschreiben fehlerhaft, wird dies zum Makel. Lesen wir ein gedrucktes Buch oder die Zeitung und entdecken Rechtschreibfehler, dann wissen wir, dass an der Qualitätskontrolle gespart worden ist. Fehler offline richten schneller einen (Image-)Schaden an als online.

Wie wichtig ist eine gute Rechtschreibung im Blog oder auf der eigenen Website?

Ich finde, man sollte zwischen statischem Text auf der Seite und Text, der sich aktualisiert, unterscheiden. Die Vorstellung von Firma, Produkt, Person sowie die Menübezeichnungen sollten schon fehlerfrei sein.

Bei Blogtexten finde ich den Kommunikationsgehalt wichtiger: Hier schreibt man schneller und aktualisiert häufiger. Einzelne Fehler sind egal. In den Kommentaren sowieso. Solange der Text verständlich bleibt, natürlich.

Muss ein Text 100% fehlerfrei sein?

Nein; jeder macht oder übersieht (Tipp-) Fehler. Auch professionelle Schreiber. Branchenüblich bei Lektoren ist daher, in den AGBs eine Korrekturquote von 90% anzugeben.

Besonders schwer wird es, in eigenen Texten Fehler zu finden, weil man nicht mehr gründlich genug liest. Wort für Wort rückwärts ist hier die Methode. Oder man lässt jemanden anderen über den Text schauen.

Wie gestaltet man vor allem lange Texte gut lesbar?

Kurze und prägnante Sätze. Klare Syntax. Kein „Gelaber“: der Leser muss sich in seiner persönlichen Situation angesprochen fühlen und einen Mehrwert erkennen, bzw. einen Lösungsvorschlag erhalten.

Eine sinnvolle Strukturierung mit Überschriften und Absätzen erleichtert das Lesen. Am Anfang ein einleitender Satz, am Ende eine abschließende Zusammenfassung rahmen einen guten Text.

Offline arbeitet man die Argumente von unwichtig bis wichtig ab. Es gibt eine Klimax. Online funktioniert das genau andersrum: das Wichtigste zu Beginn des Textes und dann alles andere. Viele lesen nur quer und springen im Internet in der Mitte der Seite ab. Auch wenn sie den Text spannend und die Seite gut finden.

Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist leider geringer als die eines Goldfisches. Schnell klickt man weiter oder beantwortet eine eingehende Mail…

Du hast dich als Lektorin selbständig gemacht. Wie lief der Start?

Besser als ich dachte. Eher zufällig entwickelten sich direkt erste Kundenaufträge, mit Arbeit war ich also versorgt. Das war eigentlich viel zu früh, denn schließlich musste ich mich noch um das Fundament meiner kleinen Unternehmung kümmern: Alles Rechtliche, Organisatorische und die vielen Versicherungen wollten erledigt werden.

Manche Verfahren sind sehr langwierig, so bearbeiten die Künstlersozialkasse und die Rentenversicherung meine Anträge noch immer. Ich habe noch keine Bestätigung, ob ich rentenversicherungspflichtig bin, wie hoch der monatliche Beitrag sein wird und ob ich Mitglied der KSK werde.

Andere Themen müssen sehr gründlich recherchiert werden, so z.B. die Betriebshaftpflichtversicherung, weil man als Freiberufler mit dem Privatvermögen haftet.

Aber die eigentliche Arbeit macht Spaß und ich konnte die ersten Rechnungen stellen. Darunter gelitten hat vor allem mein eigener Webauftritt, der eigentlich schon von Anfang an geplant war. So lange habe ich das Xingprofil oder meine private Mailadresse genutzt. Auch jetzt ist die Webseite noch nicht „fertig“ und perfekt. Nicht so wichtig, denke ich. „Lieber unperfekt starten, als perfekt warten.“

Du bist eine junge Mutter. Was waren bei der Gründung die größten Herausforderungen diesbezüglich?

Der Zeitmangel generell, meine Kinder werden vier Stunden am Tag betreut. Das ist Arbeitszeit. Ansonsten arbeite ich, wenn sie nachts schlafen. Gerade am Anfang ist der Overhead so groß, dass ich zwei Monate lang sehr wenig geschlafen habe.

Bei kleinen Kindern (meine sind eins und drei Jahre alt) sind die vielen Krankheiten ein Problem. Erst ist eins krank, dann das andere und am Ende erwischt es die Eltern. Wenn die Bronchitis auskuriert ist, bricht Magen-Darm aus oder man hat plötzlich die Maul-und-Klauenseuche (Hand-Mund-Fuß-Krankheit) daheim.

Ganz ehrlich – bevor ich Mutter wurde, wusste ich nicht, dass so etwas existiert. Hinzu kommen Bindehautentzündung, Gehirnerschütterung, Allergien oder ein Kind zahnt gerade. Und dann macht der Kindergarten Ferien.

Welche Tipps kannst du anderen gründenden Müttern geben?

Eine zuverlässige Kinderbetreuung ist das A und O. Diese Zeit ist so kostbar, dass sie effektiv genutzt wird. Ohne eine Kaffeemaschine wäre es schwer geworden. Arbeits- und Telefonierzeiten sollten klar definiert sein und dem Kunden mitgeteilt werden.

Ich denke, gründende Mütter wissen ganz genau, was sie machen. Sie tragen Verantwortung nicht nur für sich allein und sind es gewohnt, alles am Laufen zu halten. Einer Mutter wird es nicht passieren, dass sie in den Tag hinein schläft und erst einmal im Internet von Link zu Link springt, bis plötzlich 11 Uhr ist. Da sind in der Regel sehr viel Disziplin und Effizienz dabei.

Wie findest du neue Kunden?

In erster Linie über Netzwerkarbeit: Aus meiner beruflichen Vergangenheit besitze ich Kontakte und in meinem Umfeld gibt es viele Kreative und Selbstständige, die Text brauchen. Also hauptsächlich über Empfehlung und Vermittlung, wenn ich gute und zuverlässige Arbeit leiste. Ansonsten online – gerade wird an meinem Webauftritt gearbeitet: www.ahatext.de.

Über soziale Netzwerke und Businessprofile möchte ich neue Kundschaft erreichen. Ansonsten lebe ich in einer sehr wirtschaftsstarken Region mit vielen IT-Firmen und Hochschulen. Hier werde ich in Zukunft verstärkt offline akquirieren, Veranstaltungen und Messen besuchen- mich unters Volk mischen.

Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Ehrlich gesagt habe ich mit den Kindern aufgehört zu planen. Ich war noch nie so fremdbestimmt wie jetzt. Ich hatte immer gute Pläne, die toll funktionierten. Jetzt reagiere ich und betreibe Krisenmanagement.

Momentan gehe ich kein finanzielles Risiko ein, weil ich einen Gründungszuschuss erhalte. Ich arbeite daran, dass sich die Selbstständigkeit wirtschaftlich lohnt. Nach ein bis zwei Jahren werde ich Bilanz ziehen und kann dann immer noch auf den Arbeitsmarkt als PR-Fachfrau mit unternehmerischen Erfahrungen zurückkehren.

Sobald die Kinder etwas größer sind, könnte ich mir gut einen Mischverdienst vorstellen: Teils selbstständig schreibend und teils für Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft oder Kultursektor angestellt.

Zum Schluss würde ich mich über deine wichtigsten Tipps für gute Texte freuen.

Gut lesbare Sätze, gerne überraschende Wendungen und Neuigkeiten. Beispiele aus dem Alltag oder knackige Vergleiche beleben trockene Inhalte. Erwartet werden News, Fakten oder Lösungen.

Leser freuen sich, wenn sie zielgruppengerecht informiert werden. Sie sind auch nur Menschen, daher sind emotionale Texte erfolgreich. Skandalträchtige oder Neugier-erweckende Überschriften funktionieren folglich immer… wenn sie nicht zu platt formuliert sind.

Peer Wandiger

6 Gedanken zu „Selbständig im Netz als junge Mutter – Gründung, Probleme, Kinder, Tipps – Interview“

  1. Tolles, motivierendes Interview! Ich bin in der selben Situation, da freut es, einmal über die Erfahrung anderer Mütter zu lesen. Im September starten wir die Krippe. Und ich freue mich schon auf etwas mehr Arbeitszeit – zur Zeit lebe ich mit Ideenstau im Kopf und mein Blog ist fast stillgelegt 😉
    Danke und viele Grüße,
    Stefanie

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    • vielen dank!

      keine sorge, es wird besser, je größer die kleinen werden (hoffe ich zumindest 😉 ). dein blog lebt bestimmt wieder auf, sobald die eingewöhnung hinter euch liegt. ideenstau im kopf habe ich leider auch, die zeit reicht nie aus, um alles in gewohnter perfektion umzusetzen oder anzugehen. vieles muss warten. bei mir ist es gerade die fotografie. und mein eigener blog, der eigentlich von anfang an geplant war und immer noch nicht online ist. textideen und themen habe ich wie sand am meer. das ist ironisch, weil ich soviel text am tag verfasse. aber halt für die blogs von kunden oder für flyer oder webseiten oder oder oder. aber kunden bezahlen die rechnungen und davon lebe ich schließlich. das hat also priorität im moment.

      viel erfolg wünsch ich dir, du kannst mir auch gerne schreiben.
      viele grüße
      anna

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  2. Hi,
    mich würde mal Interessieren wie das mit der Unterstüzung vom Staat läuft?
    Wieviel ist das ca. ?
    Bekommt das jeder ? Muss man Arbeitslos sein vorher ?
    Vielen Dank für den Einblick.

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    • hallo sash! gründungszuschuss kann man beantragen, wenn man noch einen anspruch auf min.150 tage arbeitslosengeld hat. er entspricht genau dem arbeitslosengeld (also abhängig vom vorherigen verdienst), plus 300€ für sozialausgaben wie krankenkasse etc. und man bekommt ihn nur für 6 monate. anschließend kann man um 9 monate verlängern, aber das sind dann nur noch die 300€. man hat keinen anspruch auf einen gründungszuschuss, es liegt im ermessen des bearbeiters. und man muss viel liefern, einen kompletten businessplan, viele berechnungen, die ein steuerberater oder eine ähnliche stelle für plausibel befindet etc. es ist also wirklich viel aufwand, ihn zu beantragen und nicht klar, ob es überhaupt durchgeht. ich hoffe, dieser einblick hilft 🙂
      viele grüße
      anna

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  3. Ich finde es nicht verständlich, wieso man keinen solchen Zuschuss bekommen kann, wenn man nicht arbeitslos ist / war. Schließlich könnte wirklich jeder Gründer solches Geld mehr als gut gebrauchen, oder?

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  4. Ich habe einen Rechtschreibfehler gefunden. Mittlerer Absatz unter Pläne: “.. Nach ein bis zwar Jahren..” 🙂

    Spaß beiseite. Den Gründungszuschuß vom Arbeitsamt zu bekommen, ist gar nicht mehr so leicht. Es hängt alles vom Vermittler ab, der entscheidet allein. Sobald man als “vermittelbar” eingeschätzt wird, bekommt man gar nichts.
    Da bleibt nur Arbeitslosigkeit und Einnahmen aus einem Nebengewerbe. Das ist bis zu 15 Stunden erlaubt und man spart sich so die Kosten für die Krankenversicherung. Läuft das ALG aus, kann man immer noch in die volle Selbständigkeit wechseln.

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