Sozialversicherungen für Selbstständige – Tipps, Fehler und Änderungen im Interview

Das Thema Sozialversicherungen ist für Gründer und Selbstständige ein sehr wichtiges, vor allem weil es erstmal hohe Kosten verursacht. Aber auch darüber hinaus muss man oft wichtige Entscheidungen treffen.

Deshalb habe ich ein Interview mit einer Expertin geführt, die auf Selbstständige spezialisiert ist und bei einer gesetzlichen Krankenkasse arbeitet. Sie gibt im Folgenden viele interessante Tipps und Hinweise.

Unter anderem stellt sie Pläne für eine Änderung bei den Krankenversicherungsbeiträgen vor, welche gerade bei Gründern und kleine Selbstständigen sehr willkommen wäre.

Guten Tag Frau Burghardt. Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Ich bin Julia Burghardt, Fachexpertin für alle Fragen rund um das Thema freiwillige Versicherung und Beiträge für Selbstständige bei der Siemens-Betriebskrankenkasse SBK – einer der größten Betriebskrankenkassen Deutschlands.

Wie sind Sie zum Thema Sozialversicherung gekommen?

Seit über 18 Jahren arbeite ich bei der Siemens-Betriebskrankenkasse und habe lange Zeit Selbstständige zu allen Fragen über die Krankenversicherung beraten und begleitet. Da bekommt man viel mit von beruflichen Erfolgsgeschichten, persönlichen Lebensphasen wie zum Beispiel der Familiengründung, aber auch von schwierigen Zeiten, wenn das Geschäft mal schlecht läuft oder es aus gesundheitlichen Gründen auch mal ruhen muss.

Seit 5 Jahren kümmere ich mich nun als Fachexpertin um die Belange der Selbstständigen, die bei der SBK versichert sind oder es sein wollen. In diesem Job geht es hauptsächlich darum, die Prozesse aus Kundensicht weiter zu optimieren. Dazu gehört es z.B. alle “leider” notwendigen Anträge und Fragebögen auf die wichtigsten Inhalte zu reduzieren. Wir entwickeln unsere Beratung ständig weiter, indem wir überlegen, wie wir unsere Prozesse so einfach wie möglich gestalten können:

  • Wo reicht ein Anruf statt eines Briefes aus?
  • Welche Informationen sind für Selbstständige in ihrer individuellen Situation gerade interessant?
  • Wann müssen wir an wichtige Termine erinnern?
  • Vor allem an die Weiterleitung des Einkommensteuerbescheides, den wir für die Beitragsanpassung benötigen?

Mir ist es wichtig, dass sich unsere Kunden auf ihr Geschäft konzentrieren und sich darauf verlassen können, dass sie beim Thema Krankenversicherung nichts verpassen. Außerdem gehört es noch zu meinen Aufgaben, politisch etwas zu bewegen im Sinne der gesetzlich krankenversicherten Selbstständigen. Und da tut sich jetzt endlich eine ganze Menge!

Das Verfahren der Beitragsbemessung für Selbständige beispielsweise hat sich zum 01.01.2018 grundlegend geändert. Bisher wurden die Einkünfte laut Einkommensteuerbescheid immer zeitversetzt zur Beitragsberechnung zugrunde gelegt. Das konnte dazu führen, dass man Beiträge aus einem Einkommen zahlt, welches man aktuell gar nicht mehr hat. Jetzt wird die Beitragshöhe immer unter Vorbehalt festgesetzt und anhand des Einkommensteuerbescheides für das entsprechende Kalenderjahr überprüft und ggf. korrigiert. Diese Vorgehensweise ist aus Kundensicht wesentlich einfacher, gerechter und transparenter. Aktuell wird diskutiert, ob die Mindestbemessungsgrenze für die Beiträge Selbständiger gesenkt wird. Aus dieser Mindestbemessungsgrenze (aktuell 2.283,75 €) werden die Beiträge berechnet, wenn die tatsächlichen Einkünfte niedriger sind. Die neue Grenze soll bei 1.150,00 € liegen. Damit würde sich der Mindestbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung für Selbständige nahezu halbieren.

Welche Rolle spielen Sozialversicherung bei der Existenzgründung? Warum sollte man sich damit beschäftigen? Gibt es Pflichtversicherungen?

Zur Sozialversicherung gehören 4 Zweige: Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Arbeitsförderung und die Rentenversicherung. Bei Arbeitnehmern kümmert sich der Arbeitgeber darum, dass man zu jedem dieser Zweige angemeldet wird, denn als Arbeitnehmer ist man in allen 4 Zweigen versicherungspflichtig.

So eine Versicherungspflicht gibt es bei Selbstständigen nicht. In der Kranken- und Pflegeversicherung ist es in Deutschland so, dass man zwar abgesichert sein muss, es Selbstständigen aber freisteht, ob sie das bei einem privaten Versicherer tun oder eine gesetzliche Krankenkasse als „freiwillig Versicherter“ wählen.

In der gesetzlichen Rentenversicherung und Arbeitsförderung kann man sich ebenfalls freiwillig versichern, das ist aber kein „Muss“ wie bei der Kranken- und Pflegeversicherung. Neben den Sozialversicherungen im engeren Sinne gibt es noch andere Versicherungen, die für Selbstständige absolut sinnvoll sein können, wie z.B. die Berufsunfähigkeitsversicherung.

Welche Probleme kann es geben, wenn man diesen Bereich vernachlässigt als Gründer?

Wenn man sich als Gründer nicht mit dem Thema (Sozial)Versicherung beschäftigt, hat man finanzielle Risiken. Am einfachsten lässt sich das am Beispiel der Rentenversicherung erklären: Wenn man weder gesetzlich noch privat eine finanzielle Altersvorsorge trifft, dann muss man im Alter ohne oder nur mit einer kleineren Rente auskommen. Denn Rentenpunkte sammelt man obligatorisch nur als Arbeitnehmer, nicht als Selbstständiger.

In der Kranken- und Pflegeversicherung muss man versichert sein, egal ob gesetzlich oder privat. Ignoriert man das oder kümmert sich erst lange nach der Existenzgründung darum und hat z.B. einen Krankenhausaufenthalt, dann muss man Beiträge für die gesamte Zeit nachzahlen, in der man nicht versichert war.

Abgesehen von der gesetzlichen Verpflichtung schützt eine Krankenversicherung sinnvoll vor den finanziellen Auswirkungen bei Krankheit und Mutterschaft. Die wichtigsten Vorsorgeleistungen sind ebenfalls abgedeckt, damit die Bemühungen um die eigene Gesundheit nicht von der Höhe der Kosten abhängen.

Bei der Krankenversicherung sollte man sich als Gründer auch mit der Frage nach einem Verdienstausfall wegen Krankheit beschäftigen. Denn als Selbstständiger erhält man keine Entgeltfortzahlung wie ein Arbeitnehmer. Für den Fall, dass das Einkommen im Falle einer Krankheit ausfällt, gibt es für freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung folgende Möglichkeiten: Man kann Krankengeld in den gesetzlichen Tarif einschließen oder bei einem privaten Versicherer eine Zusatzversicherung abschließen. Privat Versicherte haben ebenfalls Tarife mit oder ohne Krankentagegeld zur Auswahl. Anders als die Krankenversicherung an sich kann man das Kranken(tage)geld jederzeit hinzu- oder abwählen.

Welche Fehler bei den Sozialversicherungen werden von Gründern häufig gemacht?

Nach meinen Erfahrungen entscheiden sich viele Selbstständige vorschnell für den Eintritt in die private Krankenversicherung, zumal sich dieser oft lebenslang auf den Krankenversicherungsschutz auswirkt. Auf den ersten Blick scheinen die privaten Krankenversicherungen wesentlich günstiger zu sein, aber es gibt auch entscheidende Nachteile und vor allem kein Rückkehrrecht in die gesetzliche Krankenversicherung.

In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung richten sich die Beiträge nach den Einkünften laut Einkommensteuerbescheid. Da man zu Beginn der Selbstständigkeit noch keinen entsprechenden Nachweis hat, werden die zu erwartenden Einkünfte durch den Selbstständigen geschätzt und daraus die Beiträge berechnet.

Das birgt die Gefahr einer Nachberechnung. Wenn der erste Einkommensteuerbescheid mit den Einkünften aus der Selbstständigkeit nämlich höhere Einkünfte ausweist, dann wird die Beitragshöhe für das Kalenderjahr entsprechend korrigiert. Genauso kann es im umgekehrten Fall auch zu Beitragserstattungen kommen. Deshalb empfehlen wir unseren Kunden, dass sie lieber höhere zu erwartende Einkünfte angeben und dadurch freiwillig etwas mehr zahlen, um dann bei abweichenden Einkünften auf dem Einkommensteuerbescheid lieber eine Beitragserstattung zu erhalten anstatt nachzuzahlen.

Viele Selbstständige stehen vor allem vor der Frage, ob sie eine PKV und GKV abschließen sollen. Was sind hier die wichtigsten Vor- und Nachteile?

Im Rahmen der „vorvertraglichen Anzeigepflicht“ in der PKV muss man alle Erkrankungen der letzten zehn Jahre angeben. Hier ist Vorsicht geboten: Teilt man – ob bewusst oder unbewusst – nicht alle Vorerkrankungen mit, riskiert man den Storno des Versicherungsvertrags bzw. werden Behandlungskosten ggf. nicht erstattet.

In der GKV zahlen Selbstständige aufgrund des Solidaritätsprinzips einen einkommensabhängigen Beitrag. Sinkt das Einkommen, z.B. in der Rente oder aufgrund von Elternzeit, so profitiert man auch von einem reduzierten Beitrag. Das Prinzip erlaubt auch Beitragsfreistellungen, z.B. während des Bezugs von Kranken- oder Mutterschaftsgeld. In der PKV jedoch ist der Tarif unabhängig vom Einkommen. Erfahrungsgemäß ist hier mit Tarifsteigerungen zu rechnen, auch und erst recht im Alter, während die Beiträge dann in der GKV einkommensabhängig sinken.

Außerdem fallen in der PKV für jedes versicherte Familienmitglied einzelne Beiträge an. In der GKV hingegen können Selbstständige ihre Kinder und Ehepartner bzw. Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft mit geringem Einkommen kostenfrei mitversichern. Die GKV bietet zudem Kinderkrankengeld oder Beitragsfreistellungen. Dies ist nicht bei allen PKV-Tarifen enthalten.

Die GKV bezahlt grundsätzlich alle medizinisch nötigen Untersuchungen – man legt in der Praxis einfach die elektronische Gesundheitskarte vor und wir rechnen direkt mit dem Arzt ab. Der Vorteil im Vergleich zur PKV: Man muss nicht in Vorleis­tung gehen und auf die Erstattung der Kosten warten. In PKV-Tarifen sind wichtige Leistungen in PKV-Tarifen nur eingeschränkt enthalten oder sogar ausgeschlossen.

In wie weit ist es später noch möglich zwischen diesen zu wechseln?

Die Entscheidung für die PKV ist oft eine Entscheidung für den Rest des Lebens.

Die Rückkehr in die GKV ist für privat versicherte Selbstständige nur dann möglich, wenn sie pflichtversichert werden und jünger als 55 Jahre alt sind, z.B. als Arbeitnehmer mit einem Einkom­men unter der jeweiligen aktuellen Jahresarbeitsentgeltgrenze.

Wie sieht es für nebenberuflich Selbstständige aus? Reicht z.B. die bestehende Krankenkassen-Versicherung aus?

Eine nebenberuflich selbstständige Tätigkeit hat keine Auswirkung auf den bestehenden Versicherungsschutz und in den meisten Fällen auch nicht auf den Beitrag.

Wenn man also die nebenberufliche selbstständige Tätigkeit neben einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis ausübt, dann ändert sich nichts.

Auf was sollte man bei der Auswahl einer privaten Krankenversicherung vor allem achten?

Die Vertragsvarianten in der PKV sind absolut individuell und verschieden. Da kann man schwer eine pauschale Empfehlung treffen, auf was man achten muss. Im Gegenteil: Es ist wichtig, sich intensiv mit den Vertragsbedingungen auseinanderzusetzen. Insbesondere über die Selbstbehalte sollte man sich informieren und vergleichen.

Oft sind Hilfsmittel, Kuren, Psychotherapie, Malariaprophylaxe, Präventionskurse, Kinderkrankengeld und Haushaltshilfe nur eingeschränkt oder gar nicht enthalten. Hier kommt es natürlich auch auf die Bedürfnisse an: was ist einem wichtig und worauf kann man verzichten? Dabei sollte man aber bedenken: Gerade sind manche Dinge kein Thema, was sich im Laufe des Lebens noch ändern kann.

Gibt es Möglichkeiten die eigenen Krankenkassenbeiträge zu senken?

Bei freiwillig Versicherten werden bis auf wenige Ausnahmen alle Einnahmen für die Beitragsberechnung zugrunde gelegt, die zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Liegen die Gesamteinnahmen im Monat unter 2.283,75 € (Wert für das Jahr 2018), werden die Beiträge mindestens aus diesem Wert, der sogenannten Mindestbemessungsgrenze, berechnet. Für Selbstständige, die von der Agentur für Arbeit einen Gründungszuschuss oder ein Einstiegsgeld erhalten, ist die Mindestbemessungsgrenze niedriger und liegt bei 1.522,50 € monatlich im Jahr 2018.

Liegen die Einnahmen unter dem Betrag vom 2.283,75 € ohne den Bezug der genannten Zuschüsse, kann man trotzdem von der niedrigeren Mindestbemessungsgrenze in Höhe von 1.522,50 € durch einen Antrag auf Beitragsentlastung profitieren. Wir prüfen dann sowohl die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit, als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Familienhaushalts.

Da die Beiträge für die Zukunft immer anhand des letzten Einkommensteuerbescheides festgesetzt werden, kann es zu einer unverhältnismäßigen Belastung kommen, wenn das aktuelle Einkommen geringer sein sollte. Auch hier kann man etwas tun, um den Beitrag zu senken. Wenn aus einem Vorauszahlungsbescheid des Finanzamtes ersichtlich ist, dass das aktuelle Arbeitseinkommen um mindestens 25 v. H. geringer ist als auf dem letzten Einkommensteuerbescheid, dann kann der aktuell zu zahlende Monatsbeitrag entsprechend verringert werden.

Selbstständige können entscheiden, ob sie einen Anspruch auf Krankengeld haben möchten oder nicht. Entscheidet man sich gegen diesen Verdienstausfallersatz, so zahlt man geringere Beiträge.

Wie sieht es im Krankheitsfall für Selbstständige aus, vor allem, wenn man länger ausfällt? Kann man sich dagegen absichern?

In der GKV kann man als Selbstständiger den Anspruch auf Krankengeld wählen, wenn man im Krankheitsfall sein Einkommen überwiegend oder ganz verliert. Dann erhält man ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit knapp 70 % des letzten Brutto-Arbeitseinkommens als Verdienstausfall. Dafür zahlt man einen um 0,6 Prozentpunkte höheren Beitragssatz.

Ich erkläre das anhand eines Beispiels und berechne den Beitrag bei 3.000 € monatlichen Einkünften aus der selbstständigen Tätigkeit:

Krankenversicherungsbeitrag ohne Anspruch auf Krankengeld: 3.000 € x 15,3% = 459,00 €
Krankenversicherungsbeitrag mit Anspruch auf Krankengeld: 3.000 € x 15,9% = 477,00 €

Eine Alternative oder auch eine sinnvolle Ergänzung zum gesetzlichen Krankengeld kann eine private Zusatzversicherung sein.

Danke für das Interview

Peer Wandiger

5 Gedanken zu „Sozialversicherungen für Selbstständige – Tipps, Fehler und Änderungen im Interview“

  1. Ein sehr guter und hilfreicher Beitrag, vielen Dank!

    Wie die Dame auch schon sagt würde ich mich mit der Basisversicherung immer für die GKV entscheiden. Es sei denn, man schwimmt im Geld. Aber das tun die meisten von uns ja nicht.

    Allerdings ist nach meiner Erfahrung das Thema Krankengeld eine Komponente, die man vielleicht eher über die PKV absichern sollte. Dort kann man einen festen Betrag absichern, sodass man im Zweifels- bzw. Krankheitsfall ganz klar weiß, wieviel Geld man zur Verfügung haben wird. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Meinung.

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  2. Hallo und vielen Dank für diesen verständlich erklärten Beitrag genau das richtig für meine bevorstehende Selbständigkeit.

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  3. Im Beitrag fehlt der Tipp Krankenkassenbeiträge der GKV 1-2 Jahre im Voraus zu zahlen (wg. der steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten)

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  4. Möchte man sich selbstständig machen, kommen auf einmal all diese Themen auf einen zu. Leider waren weder in der Schule noch im Studium Versicherungen ein wesentliches Thema. Deswegen bin ich umso dankbarer, wenn ich solche Artikel finde.

    Danke und weiter so!

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  5. Hallo,

    ich finde es wirklich erschreckend, wie viel Bürokratie teilweise herrscht. Damit meine ich nicht, dass solch ein wichtiges Thema vermeiden werden sollte, sondern eher, dass man sowas einfach nicht weiß, wenn man sich gerade selbstständig macht. Ich leite manchmal Kurse in der Uni und dort machen sich sehr viele selbstständig. Diese wollen einfach arbeiten und etwas entwerfen usw.. Bürokratie und Papierkram hemmt die meisten Gründer und Startups sehr – oder?

    Beste Grüße
    Oliver von Firmenpartnerschaft

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